Von Reformpädagogik zu Regelbruch – meine Perspektive als Schulleiterin

Als ich vor rund dreißig Jahren studierte, standen die Reformpädagoginnen und -pädagogen im Mittelpunkt unserer Ausbildung. Wir beschäftigten uns mit ganzheitlichem Lernen, mit dem fächerübergreifenden Denken und mit offenen Lernformen wie Projektarbeit, Lerntheke oder Stationslernen. Wichtig war uns immer, dass Lernen einen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Kinder hat – dass Schule ein Ort ist, an dem sich jedes Kind mit Kopf, Herz und Hand entfalten kann.

Wenn ich heute auf die sogenannten „Regelbrüche“ der aktuellen Schulpreisschulen schaue, sehe ich viele dieser Ideen wieder – aber auf einer neuen Ebene. Der Unterschied liegt darin, dass sich nicht mehr einzelne Lehrkräfte auf den Weg machen, sondern dass ganze Schulen ihre Strukturen so verändern, dass selbstgesteuertes und verantwortungsvolles Lernen wirklich möglich wird.

Zeitstrukturen, Räume, Teams und Bewertungsformen werden konsequent neu gedacht. Lernen orientiert sich nicht mehr an starren Stundenplänen, sondern an individuellen Lernwegen und gemeinschaftlichen Zielen.

„Regelbruch“ bedeutet in diesem Sinne nicht, Vorschriften zu missachten, sondern bewusst eingefahrene Routinen zu verlassen, um Raum für bessere Lösungen zu schaffen. Es geht um Mut, Dinge anders zu tun, wenn das Kind und sein Lernen im Mittelpunkt stehen sollen.

Ich empfinde das nicht als Bruch mit der Reformpädagogik, sondern als ihre konsequente Weiterentwicklung.

Was früher Haltung einzelner engagierter Lehrkräfte war, wird heute zur gelebten Struktur der ganzen Schule – professioneller organisiert, systemisch verankert und unterstützt durch die Möglichkeiten digitaler Werkzeuge.

Dabei spielt die Kultur der Digitalität eine entscheidende Rolle. Sie verändert nicht nur, wie wir lernen, sondern auch, wie wir denken, zusammenarbeiten und Wissen gestalten. Schule muss heute mehr sein als ein Ort, an dem digitale Geräte genutzt werden – sie muss eine Lernkultur fördern, in der Vernetzung, Kooperation, Transparenz und Teilhabe selbstverständlich sind. Nur so kann Bildung Kinder und Jugendliche auf eine Welt vorbereiten, in der Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken wichtiger sind als reines Faktenwissen.

Doch diese Entwicklung braucht einen langen Atem. Schulveränderung geschieht nicht von heute auf morgen – sie verlangt Durchhaltevermögen, die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen, und vor allem eine gemeinsame Haltung im Kollegium. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, wenn Ideen nicht von Einzelnen getragen, sondern gemeinsam weiterentwickelt werden, kann sich eine Schule wirklich verändern. Schulentwicklung ist kein Sprint, sondern ein Weg, der Kraft, Vertrauen und Zeit braucht.

Damit dieser Weg konsequent gelingen kann, braucht es Mut, gemeinsames Denken im Kollegium – und klare politische Unterstützung. Das Land muss Mittel für bauliche Anpassungen im Rahmen der Inklusion bereitstellen, die Schulträger müssen diese gezielt einsetzen, und es braucht eine verlässliche personelle Ausstattung: Schulsozialarbeit an allen Schulen sowie ausgebildete Schulassistenzen und Inklusionshelfer:innen, besonders in den Grundschulen. Ebenso wichtig ist die Investition in digitale Infrastruktur und Fortbildung, damit Schulen die Kultur der Digitalität nicht nur technisch, sondern auch pädagogisch leben können. Nur wenn pädagogische Vision, digitale Kompetenz und politische Verantwortung Hand in Hand gehen, kann Schulentwicklung nachhaltig wirken und Kinder wirklich in ihrer Vielfalt erreichen.

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